Die Wildspezialisten

Pünktlich zum Beginn der Wildsaison Anfang Oktober vergangenen Jahres zerlegten die Mitarbeiter von „Artemis – Die Wildspezialisten“ in Kenn im Landkreis Trier-Saarburg ihre ersten Tiere. Zusammen mit Renner Schlachthaustechnik entstand ein Vorzeigebetrieb für Wildverarbeitung in Deutschland.

Heute, ein gutes halbes Jahr später, sind die Abläufe eingespielt – auch wenn die zehn neu eingestellten Mitarbeiter in der Schonzeit (Ende Januar bis Mitte April) ihr Tagwerk bei der Mutterfirma Vet-Concept erledigen. Artemis ist eine Tochter des Tiernahrungsherstellers im wenige Kilometer entfernten Föhren. Dort hat Fleischermeister Arthur Schäfer (22) als Betriebsleiter 2021 nicht nur die Nassfutterproduktion mit konzipiert und in Betrieb gebracht. Er hat 2020 auch den Wildverarbeitungsbetrieb in dem rund 1.500 m² großen Ex-Gebäude des Fleisch- und Wurstwarenherstellers Quint geplant und realisiert. Dieser hat seinen Hauptsitz auf der Straßenseite gegenüber. Ungenutzt war das Gebäude seit 2012. „Ich habe mich schon in meinem Lehrbetrieb, der Landmetzgerei Klos in Zerf, mit der Herstellung von Hundefutter beschäftigt“, berichtet der junge Fleischermeister, der seinen Titel 2018 an der Frankfurter Fleischerschule Heyne erwarb. „Dort kam ich in Kontakt mit meinem jetzigen Mitgeschäftsführer Torsten Herz, dem Chef von Vet-Concept. So kam eines zum anderen“, sagt der passionierte Jäger. „Unsere Philosophie ist es, das Maximum aus jedem Tier auszuschöpfen und es komplett zu verwerten. Wir verarbeiten nur deutsches Wild und haben so die Qualität stets in der Hand“, betont er. Wildtiere bestehen nur zu 20 % aus begehrten Edelteilen wie Steaks, Rücken oder Keule. Doch auch der Rest will verarbeitet und bestmöglich genutzt sein. „Die Wildzerlegung ist eine Spezialität des Fleischerhandwerks, die bei jedem Tier besondere Kenntnisse erfordert“, erklärt er. Allein im waldreichen Bundesland Rheinland-Pfalz werden im Jahr etwa 8.500 Stück Rotwild, 57.000 Stück Schwarzwild und 88.000 Stück Rehwild erlegt. Wildschweine, Rehe, Hirsche oder Mufflons gelangen mit „Decke“ (Fell) aus Wildsammelstellen oder von Jägern mit eigenen Kühl-LKWs nach Kenn. Dieser Wildzerlegebetrieb ist einzigartig in Deutschland, weshalb das Projekt auch für Renner Schlachthaustechnik eine Besonderheit war.

SONDERLÖSUNGEN UMGESETZT
Die endgültige Entscheidung für den neuen Betrieb fiel Ende Mai 2020. Nach acht Wochen Planungsphase startete der Bau im August. „Am 2. Oktober 2020 erhielten wird die EU-Zulassung und drei Tage später ging es los“, berichtet Linda Ferber, Assistentin der Geschäftsführung. „Wir hatten schon Zeitdruck. Kernsanierung, alte Maschinen und Rohrbahnen raus, neue Technik rein, Wände durchbrechen usw.“, sagt Arthur Schäfer. Doch wie sagt ein Sprichwort: Nur unter Druck entstehen Diamanten. Das scheint hier auch so zu sein, wie beim Rundgang durch die Räume festzustellen ist. Selbst in die Abflüsse in den Böden ist das Artemis-Logo eingraviert. Renner Schlachthaustechnik kannte er vom Lehrbetrieb als Spezialunternehmen für Sonderlösungen. Eine davon ist die automatische Hakenrückführung, die schon im Bereich des Wareneingangs sichtbar ist. Hier werden die angelieferten Tiere via Winweb-Warenwirtschaftssystem identifiziert. „Das ist wichtig für den gesamten Prozess, die Rückverfolgbarkeit und die Entlohnung der Jäger“, sagt Arthur Schäfer. Nachdem der Kopf ab ist, gelangen die Tiere, die nicht sortenrein in „Mischbeschickung“ ankommen, via modernster Rohrbahntechnik (3 m Höhe) mit Kunststoffeinlage in den Fellwaren-Kühlraum (1°C), der 250 bis 300 Tiere fasst. „Die Plastikeinlage verhindert den Metallabrieb und es gibt weniger Hakenfett“, lobt er. Von dort werden die Tiere umgehend dem Fellabzug zugeführt. Im nächsten Raum, dessen zwei Arbeitsbereiche (rein/unrein) durch ein Gitter abgetrennt sind, arbeiten die Facharbeiter an mehreren pneumatischen Hubarbeitsbühnen, hygienisch und ergonomisch. Die Tierkörper werden via Rohrbahn automatisch weitertransportiert. Ebenso die unreinen Haken zur unter der Decke angebrachten Hakenwaschanlage im Zerlegeraum. Hier herrscht eine strikte Trennung der Mitarbeiter und der unreinen Teile. Die abgezogenen Felle sowie nicht für den Verzehr geeignete Abschnitte (z. B. durch Blutergüsse im Fleisch durch den Schuss) transportiert ein Förderband durch die Wand von der reinen Seite in den angrenzenden Kategorie-3-Kühlraum, wo sie in entsprechenden Behältern gesammelt werden. Ein Mitarbeiter im reinen Bereich steht auf einem Renner-„Jumbo-Podest“ und arbeitet rundherum um das Tier. Danach lagern die Tierkörper in einem weiteren Kühlraum (Kapazität: 300 Tiere, Temperatur: 0°C). Das ist weit mehr als gefordert. Zudem kontrollieren Veterinäre den Zerlegebetrieb täglich.

NICHT NUR EDELTEILE
Etwa 400 Tiere können pro Tag verarbeitet werden, maximal 300 t Wildbret pro Jahr. Vom 10-kg-Reh über 130-kg-Hirsche bis hin zum kolossalen Keiler. Im Zerlegeraum arbeiten bis zu acht Personen coronagerecht mit Abstand sowie kontrollierter Be- und Entlüftung. Sie schneiden Teile zu, lösen Knochen aus und entvliesen. 50 % des Fleisches dienen als Zutat für Tiernahrung, 25 % sind Edelteile (Gastronomie, Handel, Fleischer) und Fleisch zur Herstellung von Wildwurst, 25 % kommen in die Tierverbrennung. „Der Fettgehalt ist steuerbar. So produzieren wir standardisiertes Wildwurstfleisch für Wildsalami oder ähnliche Produkte – vom 100-g- bis zum 10-kg-Beutel.“ Ein Tiefkühllager sichert den hohen Qualitätsstandard. Denn der größte Teil des Fleisches wird als TK-Ware für den späteren Verkauf produziert. In den ersten drei Monaten wurden rund 2.000 Tiere verarbeitet. 40 % Wildschwein, 30 % Hirsch, 25 % Dam-, Reh- und Muffelwild. „Wild ist das nachhaltigste Fleisch überhaupt. Unser Ziel ist es, das Bewusstsein für Regionalität zu stärken und dazu beizutragen, dass nicht nur Edelteile vom Wild auf dem Teller landen“, resümiert Arthur Schäfer.

mth   www.artemis-wild.de, www.renner-sht.de

Fotos: Theimer

Magazin FH Fleischer-Handwerk 3/21