Fleischer Handwerk Magazin 06/2024
Musterbeispiel im Odenwald
Es begann im Jahr 1985, als der gelernte Fleischer Dieter Roßmann aus einer Garage heraus am Aschwiesenhof in Modautal-Lützelbach erste Hausmacher-Wurstwaren verkaufte. Gut 40 Jahre später entstand hier eine rund 1.000 m² große Schlachtung und Produktion für die nächste Generation.
Als ich im Vorfeld der 10-Jahres-Jubiläumsausgabe von FH Fleischer-Handwerk vor gut zwei Jahren erstmals von diesem außergewöhnlichen Projekt regionaler Wertschöpfung hörte, dachte ich: „Hoppla, das wird etwas ganz Großes!“. Gerne stellte ich das Projekt in der Ausgabe 6/2022 mit dem Input von Falkenstein Architekten und Ingenieure auf drei Seiten vor. Gut eine Woche vor der SÜFFA 2024 hatte ich nun die Gelegenheit – mit freundlicher Unterstützung von Armin Renner von Renner Schlachthaustechnik – diese durch EU-Mittel geförderte Schlacht- und Produktionsstätte selbst in Augenschein zu nehmen. Die Familie Roßmann hat etwas geschaffen, das höchsten Standards hinsichtlich Tier-wohl, Hygiene und Effizienz entspricht. Der Entschluss dazu fiel Ende 2018, der Spatenstich erfolgte am 26. August 2022.
„Die Herausforderung war der Standort an der alten Hofstelle und nicht ein paar hundert Meter entfernt“, sagt Fleischermeister Dieter Roßmann (60) und betont, dass alle Beteiligten das Vorhaben stets gemeinsam getragen und mit- bzw. weiterentwickelt haben. Zudem band er regionale Handwerker mit ein. „Aber schon während der Planung stellten wir fest, dass alles viel größer werden muss, als wir dachten.“ Doch alle waren sich einig: seine Frau Marion, sein Sohn Dennis (30), Metzgermeister und gelernter Landwirt, und dessen Ehefrau Ina.
Zu den Gründen erklärt er: „Es gab eine wirtschaftliche Notwendigkeit einer derartigen Veränderung des Betriebes. Nicht nur die Corona-Zeit bestätigte uns, dass Direktvermarkter weiter gebraucht werden. Und diese Entwicklung hält an.“ Und sein Sohn ergänzt: „Nur so konnten wir den Betrieb weiterentwickeln“. Das sahen auch andere so, denn die Millioneninvestition des Neubaus zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit in der Landwirtschaft wurde mit 1,8 Mio. Euro begünstigt, finanziert durch „Mittel des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes“ (ELER) und das Land Hessen. Zudem wurden Arbeitsplätze geschaffen. Die Anzahl der Beschäftigten verdoppelte sich auf 35. Viele davon gewannen die Roßmanns über aktives Social Media-Marketing.
Alles im Fluss
Die Familie Roßmann hält eine Mutterkuhherde (Blonde Aquitaine). Mit Nachzucht und zwei Deckbullen sind es 240 Tiere, die im Stall sowie von April bis Oktober auf der Weide stehen. Zudem gibt es einen Maststall für 500 Schweine einige hundert Meter vom Hof entfernt. „Wir bekommen die Ferkel mit 28 kg und mästen sie bis zum Schlachtgewicht von 110 kg. Jede Box im Stall wird 3,3 Mal im Jahr befüllt“, erklärt Dennis Roßmann. Dafür wird fast ausschließlich eigenerzeugtes Futter eingesetzt. Dem Schlachtbereich direkt vorgelagert ist ein Endmaststall mit einer Kapazität für 150 Schweine. Das Großvieh wird direkt per Anhänger zur Schlachtung angeliefert oder, sofern es der Platz erlaubt, am Vortag in den im Stall vor-gesehenen Rinderbereich gebracht. Für die Schweine, die Dennis Roßmann einzeln schlachtet, entfällt der Transport.
Geschlachtet werden montags ab 3:45 Uhr 50 Schweine und freitags ab 3:15 Uhr weitere 30. „Wir gingen von 18 Schweinen pro Woche aus und ein bis zwei Rindern, von denen es nun schon fünf bis sechs sind“, sagt er. Diese Zahlen seien auch durch die Schließung des Odenwald-Schlachthofes in Brensbach im August zu begründen. „Das können und wollen wir nicht auffangen, aber einigen Kollegen und Metzgern in der Region helfen wir sehr gerne“, ergänzt er.
In Betrieb ging alles Ende Mai/Anfang Juni. Zum Schlacht-Team zählen neben Dennis Roßmann zwei Kollegen beim Brühen, ein Helfer und ein weiterer Kollege, der auf dem hydraulisch höhenverstellbaren Jumbo-Podest von Renner Schlachthaustechnik arbeitet. „Was früher zwei Personen gemacht haben, ist hier mit einer Person möglich: halbieren, ausnehmen, nachputzen. Man kann rund ums Tier arbeiten, egal ob Schwein oder Rind“, erklärt Armin Renner. 16 bis 20 Schweine pro Stunde seien möglich. „Bei uns gibt die Brühmaschine den Takt vor, die 2:30 Minuten läuft“, sagt Dennis Roßmann. Meist sind sie in zwei bis drei Stunden fertig. Zudem lieferte das Team Renner alle Rohrbahnen und Haken sowie den Rinderzutrieb inkl. Fixierung. Alle gesetzlich nötigen Tierschutzkriterien wurden erfüllt. Zerlegt und produziert wird von montags bis freitags. Aufgrund der kurzen Wege wird das Fleisch zu einem erheblichen Teil warm verarbeitet, was die Produktqualität steigert und den Phosphateinsatz reduziert.
Die Vermarktung
Zwei Drittel des Neubaus belegen Schlachtung und Produktion. Ein neuer Hofladen sei geplant, nun müsse sich aber erstmal alles einspielen. Die Wurstspezialitäten gibt es in „Dieter‘s Wurst-laden“ am Hof, via Online-Bestellschein und als Ergänzungsprodukte in Hofläden anderer Landwirte. „Seit diesem Jahr beliefern wir mehrere privat geführte Edeka-Märkte im Umkreis von 80 km, z. B. in Gernsheim oder Münster (Hessen)“, berichtet Dieter Roßmann. Sicher kommen weitere dazu. Ebenso wie Lohnschlachtungen. 40 bis 50 Schweine pro Woche dienen dem Eigenbedarf, der Rest geht an Metzger und Landwirte (Umkreis: 20 bis 50 km).
Fazit: Würden noch mehr solche mutigen Projekte in anderen deutschen Regionen forciert, unterstützt und gefördert, käme dem Schlagwort der regionalen Wertschöpfungsketten eine noch größere und glaubhafte Bedeutung zu, bin ich nach diesem Besuch in Südhessen überzeugt. Marco Theimer
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